Im richtigen Ambiente begibt man sich auf eine Zeitreise – mit dem Geruch von Pomade, Bart-Öl und Rauch in der Luft. Der Beruf Barbier kann aktuell in Deutschland nicht mehr erlernt werden, dennoch eröffnen immer mehr Barbershops.
Pomade, Bart-Öl, Haarwachs und alles Weitere, das der Barbier benötigt. (Bild: Brause)
Hinweis: Diesen Artikel habe ich im Dezember 2016 verfasst. Einige Informationen sind nicht mehr aktuell.
Im richtigen Ambiente begibt man sich auf eine Zeitreise – mit dem Geruch von Pomade, Bart-Öl und Rauch in der Luft. Der Beruf Barbier kann aktuell in Deutschland nicht mehr erlernt werden, dennoch eröffnen immer mehr Barbershops.
„Männer unter sich, das kann man keiner Frau erklären. Einfach ein Bierchen trinken, einfach lachen, den Playboy lesen und keine Frauen, mal für eine Stunde Mann sein und sich entspannen“, so erklärt Leon Bergmann, der zusammen mit Robert-Jan Rietveld den Barbershop ‚Schorem Haarsnijder & Barbier‘ in Rotterdam gegründet hat, in einem YouTube-Video, was er unter einem guten Aufenthalt beim Barbier versteht. Das Gefühl möchten sie ihren Kunden bieten, beide sind gelernte Barbiere.
Die Barbershops in Deutschland haben ein ähnliches Konzept, sind aber weniger streng und konsequent, Frauen haben fast überall Zutritt, es sind keine gelernten Barbiere. Trotzdem werden sie die Friseurlandschaft verändern, durch die Art und Weise wie Haare geschnitten werden, was Kunden geboten wird und wie die Salons in Zukunft aussehen.
Ursprung und Idee
Per Definition ist der Barbier ein Handwerker. Der Beruf beinhaltete im Mittelalter neben der Pflege von Männerhaaren auch Wundheilung, Aderlasse und das Ziehen von Zähnen. Übrig geblieben ist die Haarpflege.
Es ist nicht ganz klar, wo die Barbershop-Rückkehr ihre Wurzeln hat, einige nennen Schorem als Vorbild in Europa. Robert barberte abends privat, beim Bier, in seiner Wohnung. Die positiven Erfahrungen führten zu der Idee des Barbershops.
Kultstatus hat Schorem mittlerweile auf jeden Fall erreicht und dient als Vorbilder für Barbiere in der ganzen Welt. Kunden nehmen weite Strecken auf sich, um bei Schorem einen Haar- und Bartschnitt in der speziellen Atmosphäre zu genießen. Frauen haben keinen Zutritt, Fans haben sie weltweit.
In Deutschland haben Frauen nicht nur in fast allen Barbershops Zutritt, es gibt auch Barbershops, die von Frauen geführt werden und in denen ausschließlich Frauen arbeiten.
Jessyca Hartsoe hat 2011 einen 50er-Jahre Friseursalon im Rockabilly-Stil in Waghäusel eröffnet. 2013 wollte sie dann einen echten Barberchair haben und Männern die Bärte und Haare machen. Jessy findet: „Bärte sind sexy.“ Deshalb hat sie verschiedene Fortbildungen besucht. „Die sind extrem wichtig. Man lernt viele Techniken“, erklärt Jessy. Sie ist mit Ihren Girls auf zahlreichen Veranstaltungen in ganz Deutschland unterwegs.
Der Barbershop
„In Deutschland sind in den letzten Jahren viele Barbershops und zahlreiche Shop-in-Shop Lösungen entstanden“, weiß Benni Geißmann von Barbersconcept. Barbersconcept ist seit 2014 Ladenbauer und Full-Service-Dienstleister für Barbiere. „Shop in Shop-Lösungen trennen baulich, durch eine Wand oder ein Regal, den Friseur vom Barbier. Idealerweise sind die beiden Bereiche aber räumlich voneinander getrennt“, erklärt Benni.
Joseph’s Barbershop in Korschenbroich, Inhaber Joseph Coenen (Bild: barbersconcept.de)
Im Barbershop gehört es zum guten Ton, den Kunden Alkohol zu servieren. „Der Alkohol wird nicht verkauft, sondern verschenkt. Barbershops fallen nicht unter die Gaststätten-Verordnung. Das Rauchverbot hat keine Gültigkeit“, weiß Richard Sauer, der 2016 seinen eigenen Barbershop in Bielefeld eröffnet hat. Bei ihm darf nicht geraucht werden. Auch bei Jessy herrscht striktes Rauchverbot. „Der Duft unserer Aftershaves und Bart-Öle sind so klasse, da würde der Rauch alles zunichtemachen“, begründet Jessy ihre Haltung.
Richard bietet Bier, Whiskey, weitere alkoholische und alkoholfreie Getränke an. Auf die Frage, ob der Barbier mittrinken muss, antwortet Richard: „Das hängt davon ab, ob ich noch Kunden bedienen muss. Wer nicht klar im Kopf ist, sollte keine Haare schneiden. Ist das Handwerk vollbracht, sieht das anders aus. Da kann das Auto schon mal stehen bleiben.“
Richard "barbert" hinter der Theke. „Farben und Lockenwickler waren nie mein Ding, allerdings habe ich in der Ausbildung auch nie ein Rasiermesser in der Hand gehalten, das kam alles erst später“, so der heute 25-jährige, der in kurzer Zeit sehr erfolgreich mit seinem Barbershop geworden ist, obwohl Bielefeld mit ca. 350 Friseuren zu den Städten mit der fünfthöchsten Friseurdichte in Deutschland gehört. Barbier ist er der Erste.
Für den Betrieb eines Barbershops ist in Deutschland, analog zum Friseurbetrieb, ein Meister erforderlich, die verantwortliche Innung kann eine Sondergenehmigung aussprechen, damit das nicht nötig ist.
Wurde Barbersconcept auf den ersten Messen mit Ihrem Sortiment an Old School-Möbeln noch belächelt, nimmt man sie heute umso ernster. Als einer der führenden Ausstatter für Barbershops in Deutschland werden die Auftragsbücher jedes Jahr voller. Die Idee kam Stephan Pokorny, der schon länger im Ladenbau tätig ist und klassische Friseursalons einrichtet, und Benni Geißmann Ende 2014. Die treibende Kraft war kein Trend, sondern der eigene Geschmack. Benni erinnert sich: „Der klassische Hochglanzlook in Friseursalons ist nicht unser persönlicher Geschmack. Old School, das gefällt uns besser. Zu Beginn hat Barberconcept alte Friseurmöbel aufbereitet und den Kunden vorgestellt. Die hohe Nachfrage und entsprechende Abnahme konnte auf diesem Weg nicht lange gewährleistet werden. An die Situation passten wir uns mit neuen Produkten an. Wir fertigen heute Möbel in Old School-Optik mit allen Vorteilen der modernen Technik.“
Der Besuch beim Barbier
„Männer mögen es einfach. Wir bieten ungefähr zwölf Schnitte und auf unserem Poster kannst Du Dir einen aussuchen. Gefällt Dir keiner davon, bist Du bei uns falsch“, erklärt Robert von Schorem.
Die Schnitte heißen Pompadur, Don Draper, Vanguard und Quiff. Hinter all diesen Namen verbergen sich Schnitte, die in den 50er-Jahren weitverbreitet waren und durch Elvis, Johnny Cash und den Rock’n’Roll bekannt wurden. „Der Barbier frisiert nicht, frisieren ist ein kreativer Prozess. Wir bringen einen Schnitt zur Perfektion. Die Männer sahen früher immer gepflegt aus, das lag auch am Haarschnitt“, sagt Robert und seinen Beruf beschreibt er: „Als Barbier ist man Barkeeper, Psychologe, Entertainer und Fachmann.“
Richard begrüßt seine Kunden in Bielefeld per Du, alle. Wartende Kunden sitzen an der Theke auf Barhockern, kriegen Getränke angeboten, können Zeitschriften lesen, sich unterhalten oder sehen dem Barbier bei der Arbeit zu. „Die meisten Kunden haben keine Lust zu warten und holen sich deshalb einen Termin, wer einfach vorbeikommt und genug Zeit mitbringt, wird selbstverständlich auch bedient“, erklärt Richard, er schneidet neben den klassischen Schnitten auch sämtliche Wünsche seiner Kunden, nur Farbe, Dauerwellen und Co gibt es bei ihm nicht.
Gesprächsthemen vor und hinter der Theke gibt es von A bis Z. Gerne wird über Autos, Uhren und weiteres Männerspielzeug gesprochen.
In zahlreichen Fortbildungen, die auch zum Angebot von Barbersconcept oder Schorem gehören, erlernt man den Umgang mit dem Rasiermesser, das Trimmen und Formen von Bärten, sowie das Schneiden der klassischen Schnitte.
Unter 20 Euro findet man kaum einen Haarschnitt beim Barbier. Oft sind Preise für Kinder, Jugendliche und Erwachsene identisch. Preistafel eines Barbershops. (Bild: Brause)
Der Barbier = Authentizität
Die Aussagen von Jessyca Hartsoe und Benni von Barbersconcept sind identisch: „Authentizität ist das A und O.“ „Sicherlich lockt der coole Look der Barbershops die Kunden in den Laden, wenn man sie allerdings halten will, muss man authentisch sein und sein Handwerk verstehen“, weiß Benni aus Erfahrung. „Man muss es lieben und idealerweise auch leben“, davon ist Jessy überzeugt.
„Mit mir und meinen Girls können die Männer genauso reden wie Männer unter sich. Sex, Partys und Alkohol, kein Problem“, erklärt Jessy auf Nachfrage der klassischen Idee von Schorem. „Außerdem haben Frauen schon sehr früh Männern die Haare geschnitten. Es gibt einen alten schwarz-weiß-Film, in dem eine Frau einem Mann die Haare schneidet und ihn rasiert. So neu ist das also nicht. Wenn man die Zeit der 50er-Jahre mag, die Frisuren, die Düfte, das Material und die Kleidung, bietet man das wichtigste, was Barbiere ausmacht, und das können wir“, ergänzt Jessy.
Barbershop-Standorte jetzt und in Zukunft
Eine unvollständige Übersicht deutscher Barbershops findet man auf barberconvention.de. (Die Infos dort sind dort nicht mehr zu finden) „In der Zukunft wird man sich nicht mehr fragen, in welcher Stadt man zum Barbier geht, sondern zu welchem in der Stadt“, versichert Benni und begründet das wie folgt: „Nach unseren Erfahrungen gibt ein Mann beim Besuch im Barbershop durchschnittlich 50 Euro aus, Haarschnitt, Bart und Pflegemittel. Eine einzelne Person kann einen Barbershop in einem Einzugsgebiet mit 200 Kunden pro Monat wirtschaftlich erfolgreich betreiben. Das spiegeln auch unsere Auftragsbücher für das kommende Jahr wider. Unsere Erwartungen mussten wir in den letzten beiden Jahren jeweils nach oben korrigieren.“ Aktuell sind die Barbiere in größeren Städten und Einzugsgebieten niedergelassen. Verlässt man sich auf die Zahlen, werden in Zukunft ländliche Gebiete folgen.
Benni weiß: „Wichtig sind nur zwei Dinge. Parkplätze vorm Haus – Männer sind faul – und die Person an der Schere. Mit dem Barbier steht und fällt die Sache. Der Laden ist gar nicht so wichtig, ob aufgeräumt, ansprechend oder sogar schmuddelig und dreckig spielt keine Rolle, solange der Barbier authentisch ist und sein Handwerk versteht.“
„Die Kosten für eine Barbershop beginnen bei 2.500 Euro pro Platz. Das ist unsere günstigste Variante, robust und langlebig. Nach oben gibt es kaum Grenzen und für 60.000 Euro bekommt man einen ganz feinen Barbershop. Ein Barberplatz ist teurer als ein Frisierplatz, die Qualität aber auch viel hochwertiger“, erklärt Benni.
Der Umgang
Höhere Preise und die Aussicht nach Rauch zu riechen können abschreckend wirken, andererseits suchen einige genau danach, wie Schorem zeigt. Die weiblichen Barbiere sorgen für eine Abwechslung in der Männerdomäne und ein guter Handwerker ist nicht vom Geschlecht abhängig. Es gibt Männer, die sich mit Frauen nicht unterhalten können und umgekehrt, ob man sich mit seinem Barbier oder Friseur über Sex unterhält, ist noch mal eine ganz andere Frage, egal ob weiblich oder männlich.
Die Tatsache, dass einige Barbiere keine Frauen bedienen, ist im Zeitalter der Emanzipation ein Problem, das es früher so gar nicht gab. Eine Frau wollte nicht in einem Herrensalon von einem Herrenfriseur die Haare geschnitten bekommen. Das ergab eine Umfrage unter Frauen im Alter ab 60 Jahren. Mit steigender Zahl an Barbershops bleibt die Entwicklung der ganzen Szene spannend.
Der Verlust der Individualität und Vielfalt kann eine Folge sein. Viele junge Männer mit Bart sehen heute schon ähnlich aus, geschuldet den klassischen Schnitten, aber Schönheit liegt im Auge des Betrachters und in einer immer schneller werdenden Welt ist eine Konstante auf anderen Ebenen für viele eine willkommene Abwechslung. Da kommt der Barbier mit seiner Besinnung auf alte Zeiten, durch Umgang und Ausstattung, gerade richtig.
Einen Versuch ist es wert
Sofern es finanziell möglich ist und die Schnitte nicht gänzlich abschreckend wirken, sollte ‚Mann‘ den Besuch beim Barbier einmal ausprobieren. Als Bartträger ist das kein Problem, die Haare muss man nicht schneiden lassen, sie wachsen allerdings auch wieder. Akzeptiert man die entspannte Atmosphäre, hat man durchaus Spaß und geht mit einem guten Gefühl nach Hause. Danach kann man sich entscheiden, wer die Haare in Zukunft in Form bringt.
Mit der Wiederbelebung des Barbershops sind ohne Frage neue Chancen für ein Berufsfeld entstanden. Aber auch der Kommerz mischt sich darunter und in Zukunft werden vielleicht nicht nur überzeugte Barbiere ihre Türen öffnen, sondern auch diejenigen, die finanziell erfolgreich werden wollen, ohne davon überzeugt zu sein.